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Wetter sei, so glaubten wir, eine rein sachliche Angelegenheit. Bis Jörg Kachelmann kam und uns eines Besseren belehrte. Wetter war auf einmal Unterhaltung. Man muss nicht allein Fakten und Daten servieren, man darf auch mal darüber scherzen oder schimpfen. So einen populären Wetterfrosch hatte es zuvor noch nicht gegeben. Es dauerte nicht lange, da sah man Kachelmann nicht nur vor der Isobarenkarte auf der er das Herannahen des nächsten Tiefdruckgebietes ausmachte, er tauchte auch in Talkshows auf und wurde Teil der allgemeinen Unterhaltungslandschaft.

Und dann war er auf einmal weg. Wie sehr er uns fehlte, das zeigt am besten eine Bemerkung meines Freundes Kai. Es war Winter, arschkalt und alle stöhnten, als Kai mit einem Mal äußerte „Jetzt müssen sie den Kachelmann aber endlich mal freilassen, dieses Wetter ist ja nicht mehr auszuhalten!“ Gut, ist zwar amüsant, dachte ich damals, aber eben doch nur ein blöder Gag.

Was folgte, wissen wir alle. Eine schier endlose Gutachter- und Medienschlacht um Schuld oder Unschuld, Wahrheit oder Unwahrheit, Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit. Futter für die Medien. Es bildeten sich regelrechte Lager, die sich ihre festen Überzeugungen erbittert um die Ohren schlugen. Als ob Kachelmann selbst noch nicht prominent genug sei, wurde zur Beobachtung und Analyse seines Falles alles aufgeboten, was gut und teuer zu sein schien. Alice Schwarzer beispielsweise merkte schnell, das Thema lag ganz auf ihrer Linie. Sie äußerte sich nicht nur in der „Emma“, sondern auch in „Bild“ oder bei „Anne Will“.

Nicht genug mit den Meinungen von Promis und Experten. Frisches Futter musste her. Wenn man schon das Privatleben bloßlegte, dann konnten ein paar Details aus der Vergangenheit sicher nicht schaden. Wer irgendwann einmal ein Verhältnis mit Kachelmann gehabt hatte, der bekam jetzt Gelegenheit zu erzählen. Und für manche Ex-Freundin winkte dabei sogar ein stattliches Sümmchen als Honorar.

Letztlich haben alle bekommen, was sie wollten. Die Befürworter der Unschuldsvermutung (und die sollte vor einer Verurteilung in unserem Rechtssystem für jeden Angeklagten gelten) wurden durch den Freispruch bestätigt. Und die, die Kachelmann verurteilt sehen wollten, können sich damit trösten, dass Kachelmanns Privatleben bis auf die Grundmauern zerpflückt worden ist. Mehr Schaden hätte man dem Mann ohnehin kaum zufügen können.

Doch offensichtlich haben noch längst nicht alle ihren Frieden mit dem Fortgang der Dinge gemacht. Nach Verkündung des Freispruchs ging die Schlacht munter weiter. In Interviews, Blogs und Verlautbarungen machten beide Seiten einander das Leben weiterhin so schwer wie möglich. Am 6.6.2011 wurde schließlich bekannt, dass auch die Staatsanwaltschaft in Revision gehen wolle. Erinnern Sie sich? An diesem Tag zogen schwere Unwetter über Deutschland. Die Regenmengen brachten zahlreiche Keller zum Absaufen, Tunnel standen komplett unter Wasser und mussten gesperrt werden, die Feuerwehren waren im Dauereinsatz.

Da fiel mir Kai wieder ein. Mag vielleicht doch etwas dran gewesen sein, an seiner Theorie? Spielt das Wetter womöglich mit im Fall Kachelmann? Ist es gar Teil der Soap, die da vor aller Augen abläuft? Ich bin mir jetzt nicht mehr so sicher… Unter diesem Aspekt sollte die Justiz sorgfältig abwägen. Sonst macht sie sich mitschuldig, wenn im August ausgedehnte Schneestürme über die norddeutschen Badestrände ziehen.